Vierstimmiger Gesang, Gitarre, Keyboards, Bass und Schlagzeug
Gegründet 1989, aufgelöst 2001, nach mehr als 400 Konzerten in sieben Ländern
Vier Alben und eine EP mit ausschließlich selbstgeschriebenen Songs, selbst eingespielt und produziert in Zusammenarbeit mit Patrik „El Pattino“ Majer (Wir Sind Helden, Tele), Udo Arndt (Rainbirds, Stephan Remmler, Nena) und Micki Meuser (Ideal, Ina Deter)
Plattenverträge bei Dragnet (Sony Music) und Four Music (Sony Music) und Twang! Records
Soviel zu den schnöden Fakten. Das Erstaunliche: Die Band ist 2001 nach 13 Jahren Musikbusiness im Schnitt grade mal 25 Jahre alt und ausschließlich weiblich. Sie hat sich mit Fleiß, Beharrlichkeit, Disziplin und großem musikalischem Talent einen festen Platz in der deutschen Musiklandschaft erspielt.
Es gibt kaum eine der damals bekannten Bands, mit denen sie nicht getourt oder auf Festivals aufgetreten sind, kaum eine Studenten-WG, in der nicht das Poster zum Album „Porno.“ hing.
Überhaupt gibt es wenige, die in den 1970ern geboren sind und die sie nicht live gesehen haben. Konzerte waren ihre große Stärke: mitreißend und energetisch, aber nie selbstverliebt. Große Performance mit beißendem Witz – rauh, aber glamourös. Wie Berlin – die Stadt, aus deren Randbezirken sie einst zusammenkamen.
1989 gründen die 14- und 15-jährigen Schulfreundinnen Julia Gehrmann und Diane Weigmann mit zwei weiteren Mädchen die Lemonbabies – das jüngste Mitglied ist zu dem Zeitpunkt grade mal 12 Jahre alt.
Extreme Spielfreude verhilft der aus reinen Autodidaktinnen bestehenden Band aber schon bald zu einem beachtlichen Repertoire aus Sixties-Covern (z.B. „Shangri-Las“, „The Beatles“) und eigenen Kompositionen mit leichtem Garage-Punk-Pop-Appeal.
In unzähligen Live-Konzerten, mit wildem Instrumente-tauschen auf der Bühne, macht sich die Band einen Namen und erspielt sich im Nach-Wende-Deutschland eine große Fangemeinde.
Da alle Bandmitglieder noch minderjährig sind und noch zur Schule gehen, kommen erste Touren oder Gigs nur an den Wochenenden oder in den Ferien in Frage, immer begleitet von Mike Korbik, auf dessen Label Twang! Records 1991 auch als Debut die Vinyl-EP „Fresh`n`Fizzy“ veröffentlicht wird.
1991 nimmt die Karriere der Band Fahrt auf. Beide 500er Auflagen der EP sind schnell vergriffen, die Lemonbabies gewinnen den Berliner Senatsrockwettbewerb. Vom Preisgeld kann sich die Band endlich eigenes Equipment finanzieren und unabhängig auftreten.
Kurz darauf wird Dragnet, ein Alternativ-Sublabel von Sony Music unter der Leitung des damaligen A&R`s Markus Linde auf die Band aufmerksam.
Es sollte zu einer für die Band sehr wichtigen, langjährigen Zusammenarbeit kommen, 1993 wird bei ihm der erste Major Plattenvertrag unterschrieben, noch im gleichen Jahr erscheint das Debütalbum „Poeck it!“ auf CD und Vinyl, produziert von Micki Meuser.
Die Presse bejubelt das Phänomen „deutsche Mädchenband“. Auf dem grade neugegründeten Musiksender VIVA und auf MTV erhält das Video zur Single „Maybe Someday“ Rotation.
In den vielen Interviews – und allen folgenden in der Bandgeschichte – dominieren Fragen zu der Tatsache, dass es sich um ausschließlich weibliche Bandmitglieder handelt – in den Augen der vier Musikerinnen erstmal nichts besonderes.
Sie sind selbstbestimmte junge Frauen, die mutig und voller Kreativität ihren Traum, erfolgreich im Musikgeschäft zu werden verfolgen.
Die Lemonbabies schreiben ihre Songs selbst, sie gehen in allen Belangen ihren eigenen Weg und fällen Entscheidungen unabhängig von großen Produktions-Firmen oder Managements.
Trotzdem hinterlässt die permanente Konfrontation mit der Tatsache, eine „Mädchenband“ zu sein, ihre Spuren im Selbstverständnis der Band. Sie werden sich ihres Exotenbonus bewusst.
Nach einem Besetzungswechsel kommt Katy Matthies als Keyboarderin in die Band. Die Gruppe entwickelt sich musikalisch weiter, weg vom Sixties Sound, dennoch weiterhin stark songorientiert, mit eingängigen poppigen Melodien und vierstimmigem Gesang.
Das 1995 veröffentlichte, zweite Album – produziert von Udo Arndt – besticht durch Songs, die sich mit persönlichen Themen, aber auch gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen, präsentiert im besten Power-Pop Gewand.
Der langjährige musikalische Begleiter der Band, Patrik „El Pattino“ Majer (der sich Anfang der 2000er Jahre mit „Wir sind Helden“- Alben profilieren wird) ist bereits bei diesem Album als Assistent dabei und wird alle folgenden Lemonbabies-Alben produzieren.
Mit ihrem einzigartigen Humor nennt die Band das Album „Pussy!Pop“, um allen Zweiflern und Neidern einen Spiegel vorzuhalten.
Das ist es, was ihr in uns seht? Dann bitte schön!
Die Unangepasstheit der Band zeigt sich auch im Artwork: Ein Bandfoto beim Döneressen und durch Kreuzberg Laufen, ziert die Rückseite des Albums. Eher Kunst als Pose, ganz in der Tradition der „Riot Grrrls“.
Der Alltag der vier Musikerinnen – die inzwischen alle die Schule beendet haben – wird durch Konzerte spielen, Songs komponieren und Studio-Aufnahmen bestimmt. Auf Konzerten und Festivals sind sie mit allen großen Bands und Künstlern der Zeit wie Die Ärzte, H-Bloxx, Chumbawamba, Sportfreunde Stiller, die Bloodhound Gang, den Fun Loving Criminals, Garbage und vielen, vielen anderen, zu sehen.
1996 ist ein Meilenstein in der Bandgeschichte: mit Barbara Hanff am Bass findet sich die optimale Besetzung, die von allen Musikerinnen bis heute als die Elementar-Besetzung wahrgenommen wird: Julia am Schlagzeug, Diane an der Gitarre, Katy an den Keyboards und Barbara am Bass. Dazu der vierstimmige Gesang der vier Songwriterinnen – das macht die Band zum Unikat.
Es kommt zu Umstrukturierungen bei der Sony und es wird offensichtlich, dass es keine gemeinsame musikalische Vision gibt. Man trennt sich.
Nein, wir wollen nicht aufhören unsere Instrumente zu spielen und stattdessen nur vorne stehen, singen und tanzen.
Nein, wir wollen auch nicht Tic Tac Toe für Erwachsene sein.
Der damalige A&R Markus Linde wird zum Manager der Band, Thomas D von den Fantastischen Vier gewinnt die Lemonbabies für seine Plattenfirma Four Music – wenn wir eine Popband auf unser Label holen, dann die beste Deutschlands – und garantiert der Band absolute musikalische Autonomie.
1997 erscheint der dritte Longplayer „Porno.“, produziert von Patrik Majer, co-produziert von Sven Haeusler, ein Album auf dem Stand zeitgenössischer internationaler Produktionen.
Als logische musikalische Weiterentwicklung experimentieren die Musikerinnen mit Programmings und weniger analogen Sounds.
Die Band schließt sich dafür ganze drei Monate im Audio Tonstudio in Berlin Lichterfelde ein, wo schon die Rainbirds „Blueprint“ aufgenommen haben. Alle Beteiligten sind sich bewusst, dass das Ergebnis einen Meilenstein in der Bandgeschichte darstellen wird.
Wie soll man nun damit an die Öffentlichkeit gehen? Die Band ist schon lange keine kleine Indie Band mehr, ist etabliert und steht vor dem großen Durchbruch.
Mit dem Fotografen und Grafik-Designer Joerg Grosse-Geldermann entwickelt die Band eine Artwork-Strategie für das Album.
Zu Recht fragt er: „Was wollt ihr sein? Primelchen oder Porno? Seid ihr die nette Band von nebenan, die in Jeans und T-Shirt auf der Wiese steht und mal wieder nicht ernst genommen wird, oder gehen wir mit Glamour, Sex und Selbstbewusstsein den großen nächsten Schritt?“
Die Band entscheidet sich für den provokanten Titel „Porno.“
Es gibt zum diesem Zeitpunkt nicht viele Wege für weibliche Musikerinnen sich selbst darzustellen. Vieles läuft über angepasste Sexiness oder komplettes Verneinen der eigenen Weiblichkeit. So oder so wird in den Medien das Thema Frausein betont.
Dann kann man das auch selbstbestimmt vorwegnehmen.
Wir lassen uns nicht ausziehen von euch, wir ziehen uns selber aus. Für uns.
„Porno.“, das bedeutet dann eben nackt auf dem Cover zu sein.
Das hier ist die beste Platte, die wir in diesem Moment machen konnten. Und das Motiv dafür erzeugt Aufmerksamkeit und ist eins drüber über dem, was man von der Band erwartet.
Das Gleiche gilt für die musikalische Entwicklung der Band.
Raus aus der Komfortzone der kleinen Sixties-Szene und Indie Clubs. Raus aus dem Schülerinnenband Status. Hinein in die Welt der professionellen Musikerinnen und Musiker an denen man sich künftig messen lassen möchte. Ohne Netz und doppelten Boden.
Das Cover-Motiv wird in den folgenden Jahren immer wieder zitiert, sowohl bei anderen Künstlern oder Bands, aber auch in der Werbung und der Modefotografie.
Die mediale Aufmerksamkeit ist die größte, die die Band bis dahin erlebt hat.
Zahlreiche Fernsehauftritte und Cover Shootings für Magazine und Zeitungen, Videos auf MTV und VIVA.
Der Album Veröffentlichung in Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz folgen ausgedehnte Touren mit Konzerten in Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande, Frankreich, Türkei und Italien und viele, viele große Festivals. Mit knallharter Disziplin und spielerisch anspruchsvollen aber trotzdem persönlich berührenden Konzerten erobern sich die vier Musikerinnen eine große und treue Fangemeinde.
Und doch ist es auch schwierig. Von Frauen selbstgemachter Mainstream Pop ist ein Novum, das in keine Schublade der späten 1990er Jahre passt. Mainstream Pop mit Frauen bedeutet damals vor allem: von Produzenten zusammengestellte Gruppen, die tanzen und singen. In vielen Interviews muss also weiterhin erklärt werden, dass man sein Instrument selber spielt und die Songs selber komponiert und textet. Und das hinter der weiblichen Besetzung kein weiteres Kalkül steckt, außer musikalische und menschliche Sympathie.
Das 2000 veröffentlichte, letzte Album der Lemonbabies „Now + Forever“ markiert das 10-jährige Bandjubiläum und zeigt noch einmal ganz eindeutig die Songwriter-Qualitäten jeder Einzelnen, Die Band konzentriert sich auf seine Stärken, sie strahlt Kompetenz und Erfahrung aus und muss nicht mehr provozieren.
Die Musikerinnen sind gereift, stehen über der Wahrnehmung, die vor allem aus den Medien auf sie projiziert wird, sie machen – aber irgendwie auch wie immer – ihr eigenes Ding.
Klar und schnörkellos, ist es auch das persönlichste Album der Band. In den Texten spiegeln sich die Erfahrungen der vorangegangenen Jahre wider. So finden sich neben Lemonbabies-typischen Power-Pop-Songs, wie die Single-Auskopplungen „Carry on“ und „Wake Up“ auch Balladen mit Tiefgang wie „Like a Slap“, „Crush“ oder der Titelsong.
Nach mehreren Touren mit dem Album durch Europa beschließt die Band 2001 eine Pause, die bis heute anhält.
Vor allem auch, um über den Tellerrand zu schauen, mit anderen Musikern zu arbeiten oder in anderen Bands zu spielen, zu studieren und sich in anderen, komplett neuen Feldern auszuprobieren:
Vom Kontaktstudiengang für Popularmusik bis hin zum Hochschulstudium für Visuelle Kommunikation und Industrie-Design oder der Ausbildung als Craniosacrale Osteopathin – die vier Lemonbabies haben viele Talente, die es weiter zu entwickeln gilt.
Die tiefe Freundschaft der Musikerinnen hält bis heute an, im kreativen Austausch sind sie wie ein enges Netzwerk.
Jetzt gibt es alle Veröffentlichungen der Band endlich auch auf allen relevanten, digitalen Verkaufsplattformen und Streamingportalen zu hören und zu kaufen.
Die Lemonbabies sind:
Diane Weigmann
Julia Fensky (Gehrmann)
Barbara Mayer (Hanff) (seit 1996)
Katy Matthies (seit 1995)
Ehemalige Bandmitglieder
Gina V. D’Orio (1989–1992)
Kaja Vetter (1989–1995)
Dodo Rass (1992–1995)
Lina Van De Mars (2000)